DAMMBRUCH –
Das Neusser Jahrhundert-Hochwasser 1920

20.09.2020 - 10.12.2020, Montag - Freitag, 9 - 18 Uhr

Eintritt frei

 

Bitte beachten Sie: Aufgrund der ab dem 2. November geltenden Corona-Schutzverordnung muss die Ausstellung vorerst für Besucher geschlossen werden.

 

Hochwasser

Im Januar 1920 ereignete sich eines der schwersten Hochwasser in der Geschichte der Stadt Neuss. Bereits zum Jahreswechsel 1919/20 hatten starke Regenfälle zu einem extremen Anstieg des Rheinpegels geführt, der sich in den nächsten Tagen aber ein wenig verlangsamte. In Köln lag der Pegel am 14. Januar jedoch bei 8,64 Meter und in Düsseldorf war er innerhalb eines Tages um fast zwei Meter auf 7,20 Meter gestiegen.
Für den Hessentorpegel unterhalb des Marktes meldete die Neuß-Grevenbroicher Zeitung am 15. Januar „26 Fuß, 9 Zoll“ und prophezeite:

Mit weiterem Steigen wird noch zu rechnen sein, da von der Mosel ebenfalls heute morgen noch starkes Steigen gemeldet wird. Die Selikumerstraße ist überschwemmt, der Verkehr mit den Anwohnern muss durch Nachen aufrecht erhalten werden. Auch die Kölnerstraße steht zum Teil unter Wasser. Zum erstenmal seit Bestehen der neuen Hafenanlagen ist auch das hochgelegte Werft [das angeschüttete Areal für die Industrieanlagen] überflutet.

Oberbürgermeister Gielen machte die Bevölkerung auf die „Gefahr einer Hochwasserkatastrophe“ aufmerksam und forderte dazu auf, „unverzüglich“ tiefer gelegene Lager und Keller zu räumen. Die Gleise der Ring- und Hafenbahn waren bereits überflutet, Fässer schwammen im Wasser und die angesichts der desolaten Ernährungslage so wichtigen Kartoffelvorräte im vom Wasser eingeschlossenen städtischen Viehhof am Hessentor (heute: Am Zollhafen) waren bedroht.

An der Oberstraße bot sich schon am 15. Januar ein seltenes Bild, denn das Wasser stand bereits bis ans Obertor. Dieses war nicht mehr passier-bar und die Straßenbahn stellte ihren Dienst ein. Zur Schokoladenfabrik Feldhaus kam man nur auf dem Umweg über die Nordkanalallee. Am Ende des Tages sollte sich die Lage noch weiter zuspitzen.

Blick über das Hafenbecken 1 zum Quirinusmünster

Links hinter dem Lagerhaus: das Pfarrhaus St. Quirin, rechts: das Gebäude der Volksschule, im Volksmund „Batterieschule“

Schaulustige unterhalb der Brückstraße blicken auf den überfluteten Erftkanal (Verlängerung des Hafenbeckens 1)

Rechts: die Hessentorbrücke, dahinter das Hafenamt unterhalb des Zeughauses, am linken Bildrand: ein Teil der alten Hospitalkirche

Dammbruch

Am 15. Januar 1920 brach der Neusser Scheibendamm. Der hohe Wasserdruck des Rheins am Prallhang nördlich von Grimlighausen hatte dazu geführt, dass von dort aus das Wasser durch den alten „Napoleon-hafen“ (heute: Sporthafen) in das damals noch offen liegende Bett des alten Nordkanals eingedrungen und in Richtung Stadt geströmt war. In Höhe der Ringofenziegelei Heinrich Sels, wo Anschüttungen den offenen Nordkanal unterbrachen, suchte sich das Wasser einen anderen Weg. Diesen fand es an der östlichen Seite, wo sich ein kleiner Durchlass durch den parallel verlaufenden Scheibendamm befand. Diesen hatte die Ringofenziegelei angelegt, um durch die Öffnung Karren mit Lehm aus dem Hammfeld in die Ziegelei westlich des Dammes zu transportieren. Das Wasser drängte mit aller Gewalt durch diesen ersten sich bietenden Weg und brach dabei eine große Bresche in den „Nordkanaldamm“.

Innerhalb kürzester Zeit wurde das Hammfeld einschließlich der Rennbahn bis zur Eisenbahnlinie Neuss-Düsseldorf überschwemmt und in einen See verwandelt. – kurioserweise nicht aus Richtung des östlich fließenden Stroms, sondern eben von der Landseite, vom südwestlich verlaufenden Nordkanal her. Die Bewohner des Hammfeldes, wo es neben dem Zweigwerk der „Chemischen Werke Albert“ vor allem landwirtschaftliche Betriebe gab, wurden vom Hochwasser völlig überrascht und mussten ohne jedwedes Hab und Gut vor der Flut flüchten. Es handelte sich immerhin um ca. 70 Familien mit knapp 300 Menschen. In vielen Fällen war es vor allem dem Einsatz der Neusser Feuerwehr zu verdanken, dass die von der Flut eingeschlossenen Menschen mit bereitstehenden oder eilig beschafften Holzkähnen im Hammfeld auf teils lebensgefährliche Weise in Sicherheit gebracht werden konnten und es keine Toten zu beklagen gab.

Durchbruchstelle am Scheibendamm

Am Abend des 15. Januar 1920 war das Wasser nördlich von Grimlinghausen durch den alten „Napoleonhafen“ (heute: Sporthafen) in das damals noch offen liegende Bett des alten Nordkanals eingedrungen und nach Nordwesten in Richtung Stadt geströmt. In Höhe der Ringofenziegelei von Heinrich Sels war der offene Nordkanal durch Anschüttungen unterbrochen, so dass sich das Wasser hier einen anderen Weg suchen musste. Diesen fand es an der östlichen Seite, wo sich ein kleiner Durchlass durch den parallel zum Kanal verlaufenden Scheibendamm befand. Diesen hatte die Ringofenziegelei angelegt, um durch diese Öffnung Karren mit Lehm aus dem Hammfeld in die Ziegelei westlich des Dammes zu transportieren. Die Wassermassen brachen hier eine große Bresche in den Damm und überschwemmten das gesamte Hammfeld einschließlich Rennbahn bis zur Eisenbahnlinie Neuss-Düsseldorf. Die Bewohner des Hammfeldes wurden vom Hochwasser völlig überrascht und mussten ohne jedwedes Hab und Gut vor der Flut flüchten.

Foto: Peter Gilges

Neuss am Rhein mit Hafen und Hammfeld, Stadtplan 1922

Rechts: Grimlinghausen und der alte „Napoleonhafen“ (heute: Sporthafen). Von dort drangen die Wassermassen in den noch offen liegenden Nordkanal ein. In Höhe der Ringofenziegelei Sels endete das Kanalbett und das Wasser durchbrach den Deich in Richtung Hammfeld.

Stadtarchiv Neuss: E.06 Karten und Pläne

Bericht der Neuß-Grevenbroicher Zeitung vom 16. Januar 1920 über den Dammbruch in Neuss

Blick vom gebrochenen Scheibendamm auf das überflutete Hammfeld

Ganz hinten links: Gebäude im Neusser Hafen

Foto: Albert Landmesser

Blick auf das Hafenbecken 1 und die gesperrte Hessentorbrücke

Die Schiffe im Hafenbecken liegen auf Straßenniveau, ein Polizist signalisiert den Schaulustigen die Sperrung der Brücke, auf den Gleisen im Hintergrund ein Zug der Ring- und Hafenbahn.

Die überflutete Selikumer Straße mit Blick in Richtung Kölner Straße

Die Bewohner gelangten im Januar 1920 nur mit Booten und über Stege in ihre Häuser.

Hoch zu Pferd: Ein Reiter auf der überfluteten Kölner Straße

Im Hintergrund: das Obertor

Foto: Albert Landmesser

Die vom Hochwasser betroffene Ölmühle von P. W. Kallen am Obertor. Davor ein Kahn mit Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr Neuss.

Bei der Überflutung des Hammfeldes am 15. Januar 1920 war es vor allem dem Einsatz der Neusser Feuerwehr zu verdanken, dass mit solchen bereitstehenden oder eilig beschafften Kähnen die im Hammfeld eingeschlossenen Menschen auf teils lebensgefährliche Weise in Sicherheit gebracht werden konnten und es keine Toten gab.

Foto: Heinrich Kleu

Mündung der Rheinstraße in die Rheintorstraße, Ecke Hafenstraße, mit Blick Richtung Norden (im Hintergrund rechts: das Gebäude der Neusser Lagerhausgesellschaft). Das Wasser drückte vom Hafenbecken 1 aus auch hier in die Altstadt.

Links: Bäckerei Jansen, Rheinstraße 46, rechts: Gastwirtschaft von Josephine Busch, Rheinstraße 41, und Gastwirtschaft von Ludger Rademacher, Rheinstraße 43

Foto: Peter Gilges

Krisenmanagement

Die Dringlichkeit der Lage erlaubte es Oberbürgermeister Gielen, am Morgen nach dem Dammbruch ohne die übliche Frist unverzüglich die Stadtverordnetenversammmlung zu einer Sondersitzung für 12 Uhr zusammen zu rufen. Dort erfuhren die Anwesenden im Bericht zur Lage, dass „rechtzeitig zur Rettung der Bewohner des Hammfeldes geschritten worden“ war und für „die Unterhaltung und Ernährung der […] geflüchteten Bürger […] gesorgt“ sei. Der Oberdeichinspektor hatte bereits die Situation in Augenschein genommen. Die Sperrung des Leitdeiches und der Hessentorbrücke wurden angeordnet. Im Tiefbauamt wurde eine ständige, durch die Rathauswache erreichbare Nachtwache eingerichtet.

Zum Schutz des Eigentums der Geflüchteten ermächtigten die Stadt-verordneten die Verwaltung, „alle erforderlichen Maßnahmen“ zu treffen. Außerdem wurden sofort Telegramme an die Staatsregierung in Berlin und an den Oberpräsidenten in Koblenz veranlasst, in denen auf „die beklagenswerten Hochwasserschäden hingewiesen“ und um umgehende staatliche Hilfe gebeten wurde. Die Verwaltung wurde ermächtigt, bei der Landesbank in Düsseldorf sofort eine Millionen Mark als vorübergehendes Darlehen zum Zinssatz von 4 ½ Prozent Zinsen aufzunehmen.

Protokoll der Sondersitzung der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Neuss vom 16. Januar 1920

Stadtarchiv Neuss, B.01.01, Nr. 67, S. 514 f.

Der Blick vom Quirinusmünster über den Hafen und das Hammfeld bis zum Rhein machte das ganze Ausmaß der Überflutung sichtbar.

Die überflutete Hammer Landstraße

Der Blick geht von der Hessentorbrücke stadtauswärts auf die Allee mit jungen Nussbäumen, im Vordergrund links: das Gebäude des Zollamtes, Hammer Landstraße 3

Foto: Heinrich Kleu

Die Neusser Galopprennbahn, auf der der Neusser Reiter- und Rennverein seit 1875 Pferderennen veranstaltete, stand 1920 unter Wasser.

Auch 1926 trat das Wasser noch einmal bis an die 1909 errichtete repräsentative Tribüne heran.

Foto: Albert Landmesser

 Bericht der Neußer Zeitung vom 16. Januar 1920

Grimlinghausen, bis zur Eingemeindung nach Neuss 1929 noch eine eigenständige Gemeinde, war 1920 besonders stark vom Hochwasser betroffen.

Der Ortskern mit der Pfarrkirche St. Cyriakus und das Unterdorf (heute: „Am Römerlager“) standen weitgehend unter Wasser.

Blick vom Quirinusmünster auf das überflutete Hammfeld mit Hafen und Hammer Landstraße

Links vorne: die Batterieschule, dahinter: das Städtische Lagerhaus am Hafenbecken 1, gegenüber: die Ölmühle Thywissen, rechts davon: der Städtische Viehhof und das Zollamt an der Hammer Landstraße. Am Fuße des Münsters (unten re.) das Pfarrhaus und die Kaplaneien.

Foto links: Peter Gilges

Blick vom Quirinusmünster auf die Rennbahn und das überflutete Hammfeld

Unterhalb des Münsters: die Kaplaneien und das Zeughaus mit dem ehemaligen Obervantenkloster, dahinter: die von der Polizei gesperrte Hessentorbrücke über den Erftkanal, rechts vom Zeughaus: die Hospitalkirche an der Brückstraße und das alte Hospital, dahinter: die Neusser Dampfmühlen AG an der Brückstraße mit der Direktorenvilla („Kaffeemühle“), unten rechts: Kuppel des Städtischen Museums am Markt

Blick von Osten über den überfluteten Erftkanal

Links: Obertor, anschließend: Rückfront der Häuser Oberstraße 3-13, rechts: Stearin- und Kerzenfabrik Overbeck & Sohn, der heutige Sitz des Stadtarchivs, Oberstraße 15, dahinter: der Wasserturm

Foto: Peter Gilges

Eine Bootstour in der Dämmerung auf der nach dem Bruch des Scheibendammes vollständig überfluteten Neusser Rennbahn.

Rechts: die 1909 errichtete große Tribüne, hinten: Schornsteine der Industrie am Obertor im Süden der Altstadt